Brigitta Willer
Die fest gefügten Fünfziger ff
von der Adenauerära in die Achtundsechziger
Ardenku-Verlag
(Leseprobe)
Zu diesem Buch
Diese Erzählung zeichnet einen Bogen von den fest gefügten Fünfzigern der Adenauerära mit ihren verkrusteten Strukturen hin zu den Achtundsechzigern, deren erklärtes Ziel es war, diese Strukturen aufzubrechen.
Folgerichtig schlug das Pendel nach der Zeit der Restauration, die die Menschen im statisch Gestrigen gefangen gehalten hatte, extrem aus in die gegenläufige Richtung.
Die Epoche der Achtundsechziger verwarf nahezu alles bisher Gültige und schlug dadurch einerseits eine Schneise für den frischen Wind der neuen Zeit.
Indem sie aber auch Bewährtes und Erhaltenswürdiges mit hinwegfegte, nahm sie andererseits auch vielen Menschen das Regelwerk, mit dessen Hilfe sie bisher das Leben meistern konnten.
Wie nun könnte dieser Prozess verständlicher dargestellt werden als durch persönliche Erlebnisse? Sie malen ein komplexes Bild der Epoche und geben Ort und Zeit Authentizität.
So begleitet der Leser, die Leserin die junge Maria durch die Zeitläufte und betrachtet den Wandel der Gesellschaft durch ihre ganz persönliche Brille.
Prolog
Die frühen Fünfziger
In der jungen Republik herrschte Aufbruchstimmung - Optimismus machte sich breit. Die Menschen waren initiativ und krempelten die Ärmel hoch.
Die schlimmsten Trümmer waren entfernt -Wohnhäuser schossen wie Pilze aus der Erde. Und das unter besonderen Schwierigkeiten: Baumaschinen gab’s kaum. Die Bauleute bedienten sich alter bewährter Methoden. Bauhelfer trugen den Mörtel in Speisvögeln über steile Leitern von Stockwerk zu Stockwerk. Anstelle von Kränen wurden Flaschenzüge mit Muskelkraft bewegt.
Die Mietshäuser der Innenstädte zeigten bald neue gesichtslose Fassaden - hastig und lieblos hochgezogen. Die Menschen wollten raus aus ihren Notquartieren, möglichst schnell. Und der Wohnraum musste billig und bezahlbar sein.
Man richtete sich also ein in der Nachkriegszeit.
Die Wiederwahl Adenauers wurde von der Kanzel empfohlen – die Empfehlung befolgt. Dagegen wurden die in Bundestagsdebatten mit Leidenschaft und in brillanter Rhetorik vorgetragenen Argumente Fritz Erlers kaum zur Kenntnis genommen.
Zwar hatten immer mehr Haushalte die Möglichkeit, Parlamentsdebatten im Radio zu verfolgen, doch wurde diese Möglichkeit nur selten wahrgenommen.
Große Teile der Kriegsgeneration hatten die Nase voll von jeglicher Politik. Zu übel waren die Erfahrungen der jüngsten Vergangenheit. Mit dem Kirchen-Vorschlag glaubten sich viele auf der sicheren Seite.
Erhards Wirtschaftswunder begann.
Betriebe stellten wieder ein. Familienväter - es waren eigentlich immer die Familienväter - brachten am Freitagabend volle Lohntüten nach Hause. Und Familienmütter hatten wieder etwas einzuteilen.
In den Familien herrschte Zucht und Ordnung – „So lange du deine Beine unter meinen Tisch stellst ...“, war fast überall Grundlage familiären Zusammenlebens.
Gewisse Reihenfolgen wurden eingehalten. Uneheliche Kinder waren verpönt – die Adenauer–Ära gab Moralvorstellungen und Verhaltensmuster vor. Man hielt sich daran, zum Schein oder aus Überzeugung. Argumente dagegen prallten gegen unsichtbare Klippen der Ehre und der Moral.
Rudolf Prack und Sonja Ziemann unterstrichen den moralischen Anspruch dieser Zeit. In den Heimatfilmen waren die Rollen klar definiert. Uneheliche Kinder führten zur Ächtung von Mutter und Kind – nur in den seltensten Fällen des Vaters. Der Ausschluss aus der Gesellschaft endete im Elend oder im Wasser – die Zuschauer nahmen das schluchzend zur Kenntnis, fanden aber im allgemeinen, dass das ja so habe enden müssen.
Jetzt meldete sich auch das Fernweh.
Rudi Schurike besang die rote Sonne, die auf Capri im Meer versank.. Bella Italia lockte die Pauschalurlauber und wurde zum Teutonengrill. 14 Tage Jahresurlaub standen zur Verfügung, und die galt es zu nutzen.
Raus aus dem täglichen Allerlei wollte man, den Sparzwängen entrinnen, über die Strenge schlagen wollte man, hinaus aus dem Mief, den allgegenwärtige Kontrolle verbreitete.
Braun gebrannte Rückkehrer erweckten den Neid der Kollegen und der Nachbarschaft. Das erzählte Erlebte oder auch nur Erträumte hob das Selbstbewusstsein – zumindest so lange, bis alle Bekannten und Freunde gleiches erlebt hatten, ähnliches erzählten.
Für die Berufstätigkeit brauchte die Ehefrau die Erlaubnis ihres Mannes – so sah es das Gesetz vor. Die allgemeine Meinung ging jedoch dahin: die Frau gehört ins Haus und an den Herd. Ihre Urbestimmung ist das Kinderkriegen und -erziehen. Insbesondere im Kleinbürgertum „hat es meine Frau nicht nötig, zu arbeiten!“ Das Selbstbewusstsein des Hausherrn litt erheblich im anderen Fall, und nicht zuletzt seine Bequemlichkeit.
War das Geld knapp – und in der Nachkriegszeit war das die Regel – konnte kein Geld für Schule und Bildung der Tochter hinausgeworfen werden. Gemäß allgemeiner Praxis, dass mit Hochzeit und Kinderkriegen die Berufstätigkeit endete, wäre es Verschwendung gewesen, teures Geld in zweifelhafte Bildungsabenteuer zu investieren.
„Solange du deine Beine unter meinen Tisch stellst, ...“
Und in diese Zeit der fest gefügten Fünfziger fiel Marias Start in das Berufsleben.
Eigentlich wäre sie viel lieber noch ein paar Jahre in die Schule gegangen, doch das Gymnasium kostete 20 Mark - Geld, das die Eltern nicht aufbringen konnten und für die Tochter auch nicht aufbringen wollten…
Samstag, 4. Oktober 2008
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