Kurzgeschichte aus
„Pott und die Welt…“
(Brigitta Willer)Deeskalieren?
Und jetzt auch noch ein Schwarzer! – Die zwei Grauhaarigen blickten besorgt dem neuen Fahrgast entgegen. Es war kurz nach drei Uhr morgens, vier, fünf S-Bahn-Stationen nach ihrem Einstieg in Wehringhausen. Schon seit geraumer Zeit fragten sie sich verängstigt, wie diese Fahrt wohl enden würde. Sie verfluchten bereits den frühen Flug, für den es nur diesen Zubringer gegeben hatte.
Eine Station nach ihnen – am Heubing - waren drei Glatzen zugestiegen, lässig halbvolle Bierflaschen schwenkend und mit ausgebeulten Taschen, in denen sich leicht weiterer Stoff vermuten ließ. Dass die nicht zur Frühschicht wollten, war offensichtlich. Wichtig waren sie – grölten es in alle Richtungen, hoben den Arm auf Schulterhöhe und grüßten auf einschlägige Art – Herrenmenschen eben!
Den Wagen zu verlassen trauten sich die zwei Alten nicht – hätten sie doch diese Gang passieren müssen. Also machten sie sich unsichtbar, vermieden jeden Sichtkontakt. Schreckten aber jedes Mal zusammen, wenn wieder braune Tiraden aggressiv herausgebölkt wurden.
Klara, klein und zierlich und immerhin knapp 70, sah sich vorsichtig um – was war zu tun? Die Notbremse war mit ein paar Schritten erreichbar - aber was dann? Oder lieber das Handy - aber welche Nummer? Wenn doch nur ein paar Leute zusteigen würden! – Das Gegröle wurde immer unerträglicher – machte Angst.
Inzwischen kreiste auch eine Schnapsflasche im Trio. Mehr und mehr verloren die Jungmannen die Kontrolle über sich. Versuchtes Aufstehen ließ sie bereits in der leichtesten Kurve aus der Balance geraten.
In Schwelm – endlich – stiegen drei Personen zu. Junge Frauen – wohl eher noch Mädchen. Die zwei Grauen atmeten durch. Aber was sich da albern kichernd und auch nicht mehr nüchtern über die Sitze fläzte, war nicht die erwartete Hilfe. Im Gegenteil. Es stachelte die Glatzen nur an, noch mehr pöbelnd herumzugockeln.
Herausfordernde Blicke wanderten herüber und hinüber. Man kam sich näher – Platzreihe für Platzreihe.
Wenn die sich zusammentun, kommen wir hier nicht mehr heile raus, dachten die zwei Alten synchron. Und der Schwarze mittendrin war jetzt der Tropfen, der bald das Fass zum Überlaufen bringen würde. Und richtig – es ging los. Die Glatzen machten den Affen – von den Mädchen beklatscht und aufs Handy gebannt. „Willze ne Banane? – He, Nigger, sach schon!“–
Die Pulle machte erneut die Runde, jetzt die erweiterte - total blau inzwischen alle sechs.
Nach einer Weile merkten die zwei Alten, dass die Clique leiser wurde. Immer wieder streifte ein hämischer, selbstgefälliger Glatzenblick den Dunkelhäutigen. Das konnte nur bedeuten, es war etwas im Gange. Man robbte sich ran an die Sitzbank des elegant gekleideten Afrikaners. Oder doch Deutscher? Der blieb gelassen, wohl erfahrener im Umgang mit solchen Kanaillen. Nur nicht reizen diesen Mob – das hatte er verinnerlicht.
Deeskalieren – dieses Wort tauchte plötzlich aus dem Nebel der Angst im Kopf der 70-Jährigen auf. Als im Osten der Republik die Neos mal wieder zugeschlagen hatten, hatte es der Mann von der Polizeigewerkschaft gebetsmühlenartig wiederholt. Und es war hängen geblieben.
Damals hatten ihr guter August und sie der Mattscheibe noch eifrig Beifall genickt.- Doch das war zu Hause, auf ihrem Sofa. Wie aber deeskaliert man eine solch unübersichtliche Situation in der Realität? War bei den Suffköppen überhaupt noch etwas zu deeskalieren?
Vielleicht bluffen?
„Gott sei Dank – die Polizei“, Klara brüllte es geradezu heraus. August wusste gar nicht, was los war. „Polizei? Um Himmels Willen, wo?“
Solch eine lange Leitung hatten die Glatzen nicht. Das Wort Polizei riss sie magisch von den Sitzen. So benebelt konnten sie gar nicht sein, als dass dieser Ruf sie nicht elektrisierte. Nur raus, nichts wie weg hier. Blindlings stolperten sie dem Ausgang zu, stürzten, rappelten sich hoch. In Barmen quoll das besoffene Knäuel durch die geöffneten Türen hinaus auf den Bahnsteig. Bis auf einen Fuß. Der blieb hängen, verhakte sich zwischen Bahnsteigkante und Bahn. Konnte sich nicht befreien. Schon gar nicht in Hektik und im Suff. Der Schmerz schallte über den ganzen Bahnsteig. Brüllte um Hilfe. Die Angst der Kumpels vor Festnahme aber wog schwerer als ihre Kameradschaft. Und in nullkommanix waren sie verschwunden. Das „Ihr Schweine!“ des Eingeklemmten konnte sie auch nicht zur Hilfe bewegen. Noch eine Anzeige konnten sie sich nicht leisten. Ihr Kerbholz war voll. – Die Feigheit trägt Glatze!
Ein großer dunkler Schatten beugte sich über den Unglücksraben. „Lassen Sie mal sehen“, dröhnte ein Bass mit dem kehligen Tonfall des Yankees, „ich bin Arzt – vielleicht kann ich was für Sie tun.“
Freitag, 2. Januar 2009
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